Die drei Schwestern mit den gläsernen Herzen

von Richard von Volkmann-Leander

~8 Min

Es gibt Men­schen mit gläser­nen Herzen. Wenn man leise daran rührt, klin­gen sie so fein wie sil­berne Glock­en. Stößt man jedoch derb daran, so gehen sie entzwei. Da war nun auch ein Königspaar, das besaß drei Töchter, und alle drei hat­ten gläserne Herzen. Kinder“, sagte die Köni­gin, nehmt euch mit euren Herzen in acht, sie sind eine zer­brech­liche Ware!“ Und sie tat­en es auch. 

Eines Tages jedoch lehnte sich die älteste Schwest­er zum Fen­ster hin­aus über die Brüs­tung und sah hinab in den Garten, wie die Bienen und Schmetter­linge um die Lev­ko­jen flo­gen. Dabei drück­te sie sich ihr Herz: kling! ging es, wie wenn etwas zer­springt, und sie fiel hin und war tot. Wieder nach einiger Zeit trank die zweite Tochter eine Tasse zu heißen Kaf­fee. Da gab es aber­mals einen Klang, wie wenn ein Glas springt, nur etwas fein­er wie das erstemal, und auch sie fiel um. Da hob sie ihre Mut­ter auf und besah sie, merk­te aber bald zu ihrer Freude, daß sie nicht tot war, son­dern daß ihr Herz nur einen Sprung bekom­men hat­te, jedoch noch hielt. Was sollen wir nun mit unser­er Tochter anfan­gen?“ ratschlagten der König. Sie hate einen Sprung im Herzen, und wenn er auch nur fein ist, so wird es doch leicht ganz entzweige­hen. Wir müssen sie sehr in acht nehmen.“ Aber die Prinzessin sagte: Laßt mich nur! Manch­mal hält das, was einen Sprung bekom­men hat, nach­her ger­ade noch recht lange!“

Indessen war die jüng­ste Königstochter auch groß gewor­den und so schön, gut und ver­ständig, daß von allen Seit­en Königssöhne her­beiströmten und um sie fre­it­en. Doch der alte König war durch Schaden klug gewor­den und sagte: Ich habe nur noch eine ganze Tochter, und auch die hat ein gläsernes Herz. Soll ich sie jeman­dem geben, so muß es ein König sein, der zugle­ich Glaser ist und mit so zer­brech­lich­er Ware umzuge­hen ver­ste­ht.“ Allein es war unter den vie­len Freiern nicht ein­er, der sich gle­ichzeit­ig auf die Glaserei gelegt hätte, und so mußten sie alle wieder abziehen.

Da war nun unter den Edelkn­aben im Schloß des Königs ein­er, der war beina­he fer­tig. Wenn er noch dreimal der jüng­sten Königstochter die Schleppe getra­gen hat­te, so war er Edel­mann. Dann grat­ulierte ihm der König und sagte ihm: Du bist nun fer­tig und Edel­mann. Ich danke dir. Du kannst gehen.“ Als er nun das erstemal der Prinzessin die Schleppe trug, sah er, daß sie einen ganz königlichen Gang hat­te. Als er sie ihr das zweit­emal trug, sagte die Prinzessin: Laß ein­mal einen Augen­blick die Schleppe los, gib mir deine Hand und führe mich die Treppe hin­auf, aber fein zier­lich, wie es sich für einen Edelkn­aben, der eine Königstochter führt, schickt.“ Als er dies tat, sah er, daß sie auch eine ganz königliche Hand hat­te. Sie aber merk­te auch etwas; was es aber war, will ich erst nach­her sagen. Endlich, als er ihr das drit­temal die Schleppe trug, drehte sich die Königstochter um und sagte zu ihm: Wie reizend du mir meine Schleppe trägst! So reizend hat sie mir noch kein­er getra­gen.“ Da merk­te der Edelkn­abe, daß sie auch eine ganz königliche Sprache führte. Damit war er nun aber fer­tig und Edel­mann. Der König dank­te und grat­ulierte ihm und sagte, er könne nun gehen. 

Als er ging, stand die Königstochter an der Gar­ten­türe und sprach zu ihm: Du hast mir so reizend die Schleppe getra­gen wie kein ander­er. Wenn du doch Glaser und König wärst!“ Darauf antwortete er, er wolle sich alle Mühe geben, es zu wer­den; sie möge nur auf ihn warten, er käme gewiß wieder. Er ging also zu einem Glaser und fragte ihn, ob er nicht einen Glaser­jun­gen gebrauchen könne. Jawohl“, erwiderte dieser, aber du mußt vier Jahre bei mir ler­nen. Im ersten Jahr lernst du die Sem­meln vom Bäck­er holen und die Kinder waschen, käm­men und anziehen. Im zweit­en lernst du die Ritzen mit Kitt ver­schmieren, im drit­ten Glas schnei­den und ein­set­zen, und im vierten wirst du Meis­ter.“ Darauf fragte er den Glaser, ob er nicht von hin­ten anfan­gen könne, weil es dann doch schneller ging. Indes der Glaser bedeutete ihm, daß ein ordentlich­er Glaser immer von vorn anfan­gen müsse, son­st würde nichts Gescheites daraus. Damit gab er sich zufrieden. 

Im ersten Jahre holte er also die Sem­meln vom Bäck­er, wusch und kämmte die Kinder und zog sie an. Im zweit­en ver­schmierte er die Ritzen mit Kitt, im drit­ten lernte er Glas schnei­den und ein­set­zen, und im vierten Jahre wurde er Meis­ter. Darauf zog er sich wieder seine Edel­mannsklei­der an, nahm Abschied von seinem Lehrher­rn und über­legte sich, wie er es anfin­ge, um nun auch noch König zu wer­den. Während er so auf der Straße, ganz in Gedanken ver­sunken, ein­herg­ing und aufs Pflaster sah, trat ein Mann an ihn her­an und fragte, ob er etwas ver­loren habe, daß er immer so auf die Erde sähe. Da erwiderte er: ver­loren habe er zwar nichts, aber suchen täte er doch etwas, näm­lich ein Kön­i­gre­ich; und fragte ihn, ob er nicht wisse, was er zu begin­nen habe, um König zu werden. 

Wenn du ein Glaser wärst“, sagte der Mann, wüßte ich schon Rat.“ Ich bin ja ger­ade ein Glaser!“ antwortete er, und eben fer­tig gewor­den!“ Als er dies gesagt, erzählte ihm der Mann die Geschichte von den drei Schwest­ern mit den gläser­nen Herzen, und wie der alte König dur­chaus seine Tochter nur einem Glaser ver­mählen wolle. Anfangs“, so sprach er, war noch die Bedin­gung, daß der Glaser, der sie bekäme, auch noch ein König oder ein Königssohn sein müsse; weil sich aber kein­er find­en will, der alles bei­des ist, Glaser und König zugle­ich, so hat er etwas nachgegeben, wie es der Klüg­ste immer tun muß, und zwei andere Bedin­gun­gen gestellt. Glaser muß er freilich immer noch sein, dabei bleibt es!“ Welch­es sind denn die bei­den Bedin­gun­gen?“ fragte der junge Edel­mann. Er muß der Prinzessin gefall­en und Samt­patschen haben. Kommt nun ein Glaser, welch­er der Prinzessin gefällt und auch Samt­patschen hat, so will ihm der König seine Tochter geben und ihn später, wenn er tot ist, zum König machen. Es sind nun auch schon eine Menge Glaser auf dem Schloß gewe­sen, aber der Prinzessin wollte kein­er gefall­en. Außer­dem hat­ten sie auch alle keine Samt­patschen, son­dern grobe Hände, wie das von gewöhn­lichen Glasern nicht anders zu erwarten ist.“ 

Als dies der junge Edel­mann ver­nom­men, ging er in das Schloß, ent­deck­te sich dem König, erin­nerte ihn daran, wie er bei ihm Edelkn­abe gewe­sen sei, und erzählte ihm, daß er sein­er Tochter zuliebe Glaser gewor­den und sie nun gar gern heirat­en und nach seinem Tode König wer­den wolle. Da ließ der König die Prinzessin rufen und fragte sie, ob der junge Edel­mann ihr gefiele, und als sie dies bejahte, weil sie ihn gle­ich erkan­nte, sagte er dann weit­er, er solle nun auch seine Hand­schuhe ausziehen und zeigen, ob er auch Samt­patschen habe. Aber die Prinzessin meinte, dies sei unnötig, sie wisse es ganz genau, daß er wirk­lich Samt­patschen habe. Sie hätte es schon damals gemerkt, als er sie die Treppe hin­aufge­führt hätte. So waren denn bei­de Bedin­gun­gen erfüllt, und da die Prinzessin einen Glaser zum Mann bekam und noch dazu einen mit Samt­patschen, so nahm er ihr Herz sehr in acht, und es hielt bis an ihr seliges Ende. 

Die zweite Schwest­er aber, welche schon den Sprung hat­te, wurde die Tante, und zwar die allerbeste Tante der Welt. Dies ver­sicherten nicht bloß die Kinder, welche der junge Edel­mann und die Prinzessin zusam­men beka­men, son­dern auch alle anderen Leute. Die kleinen Prinzessin­nen lehrte sie lesen, beten und Pup­pen­klei­der machen; den Prinzen aber besah sie die Zen­suren. Wer eine gute Zen­sur hat­te, wurde sehr gelobt und bekam etwas geschenkt; hat­te aber ein­mal ein­er eine schlechte Zen­sur, dann gab sie ihm einen Katzenkopf und sprach: Sage ein­mal, sauber­er Prinz, was du dir eigentlich vorstellst? Was willst du später ein­mal wer­den? Her­aus mit der Sprache! Nun, wird‘s bald?“ Und wenn er dann schnuck­ste und sagte: Kö-Kö-Kö-König!“ lachte sie und fragte: König! Wohl König Midas? König Midas Hochge­boren mit zwei lan­gen Esel­sohren!“ Dann schämte sich der, welch­er die schlechte Zen­sur bekom­men hat­te, gewaltig. 

Und auch diese zweite Prinzessin wurde steinalt, obwohl ihr Herz einen Sprung hat­te. Wenn sich jemand darüber wun­derte, sagte sie regelmäßig: Was in der Jugend einen Sprung kriegt und geht nicht gle­ich entzwei, das hält nach­her oft ger­ade noch recht lange.“ – Und das ist auch wahr. Denn meine Mut­ter hat auch so ein altes Sah­netöpfchen, weiß, mit kleinen bun­ten Blu­men­sträußchen besät, das hat einen Sprung, solange ich denken kann, und hält immer noch; und seit es meine Mut­ter hat, sind schon so viele neue Sah­netöpfchen gekauft und immer wieder zer­brochen wor­den, daß man sie gar nicht zählen kann.